Brückenprüfung – eine Frage der Sicherheit

Ein Blick über die Schulter von Lindschulte-Brückeninspektor Christoph Wübker

Wie wichtig es ist, Brücken regelmäßig und sorgfältig zu prüfen, zeigte sich auf dramatische Weise im August 2018 in Genua. Die Autobahnbrücke Ponte Morandi stürzte ein, das Unglück kostete 39 Menschenleben. In Deutschland gibt es schon seit vielen Jahren ein engmaschiges Kontrollnetz, das genau solche Tragödien verhindert. Christoph Wübker, Abteilungsleiter Bauwerksprüfung der Lindschulte Ingenieurgesellschaft, ist Teil dieses Netzes.

Alles wird dokumentiert – Es geht um Sicherheit

Für Menschen mit Klaustrophobie oder Höhenangst ist sein Job nicht geeignet. Wübker klettert in die Hohlkammern der Brücken, die nur von seiner Stirnlampe erhellt werden. Ausgestattet mit Stahlkappenschuhen, Knieschonern und einem Helm kontrolliert er im Auftrag der Bundesländer jeden einzelnen Riss im Inneren und an der Außenfassade der Bauwerke, die nicht selten schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts erbaut wurden. Wenn Wübker gerade durch eine der kreisrunden Aussparungen leuchtet, die in die nächste Kammer führen, kann man auch die folgenden Durchgänge erkennen.

Mit einem scheckkartengroßen Kärtchen bewaffnet, das im Prinzip wie ein Lineal funktioniert, macht sich der Wietmarscher auf den Weg in die Kammer. An jeden noch so kleinen Riss hält er die Karte, markiert mit einem gelben Stift die Stelle an der Brücke und notiert die Breite des Risses. Anschließend trägt er die Daten in den Bauplan der Brücke ein. Zurück im Büro zeichnet er den Riss auch am Computer ein. Wie überall im Konstruktionsbau ist Genauigkeit besonders wichtig. Zur nächsten Kontrolle rückt vielleicht der Mitarbeiter eines anderen Unternehmens am Kennedydamm an. Dann müssen Wübkers Aufzeichnungen stimmen. Immerhin geht es um die Sicherheit von Menschenleben.

Der Verschleiß erzählt eine Geschichte

Im vergangenen Jahr wurde der Lindschulte-Experte von der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr nach Hildesheim geschickt. Hier sollte er die marode B6-Brücke über den Kennedydamm kontrollieren. Das Bauwerk ist mehr als 50 Jahre alt und stammt aus einer Zeit, als die Autos noch leichter und die Straßen leerer waren. Den Verschleiß sieht man der Brücke an, dem erfahrenen Ingenieur erzählt der Zustand eine Geschichte.

Wübker ist bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten als Brückenprüfer tätig. Während der 46-Jährige durch die Dunkelheit kriecht, hört er den Straßenverkehr über seinem Kopf. Zwischendurch vibriert es. Das beunruhigt den Experten aber nicht. Das Bauwerk ist – wie alle anderen auch – ständig in Bewegung. Die damaligen Konstrukteure haben sie sogar wie üblich auf gigantische Widerlager gesetzt – zum Beispiel, weil Temperaturschwankungen sie ständig in Bewegung versetzen.

Ganze drei Tage dauert die sorgsame Sonderprüfung. Normalerweise lässt die Baubehörde alle Brücken im Land, für die sie zuständig ist, alle drei Jahre auf Herz und Nieren überprüfen. Das sind knapp 40.000 Brücken auf Bundesfernstraßen, plus kommunale Bauwerke. Bei dem Bauwerk, das nicht nur den Kennedydamm, sondern auch die nahe Bahntrasse und die dahinterliegende Heinrichstraße überspannt, hat sie den Abstand schon auf jährlich verkürzt. Langfristig ersetzt das Land Niedersachsen die alte Brücke durch einen Neubau, in den Christoph Wübker dann wohl nicht mehr klettern muss, immerhin wird es keinen Hohlkörper mehr in der Mitte geben. Auch der Brückenbau geht mit der Zeit.

Die Aufnahmen vor Ort stellen dabei nur einen Teil der Prüfungen dar. Häufig müssen Genehmigungen für Straßensperrungen eingeholt, Stromabschaltungen bei der Deutschen Bahn beantragt oder Gerätschaften wie Hubsteiger oder dergleichen zur Durchführung angemietet werden, um überhaupt mit der Prüfung beginnen zu können. Jedes Bauwerk ist anders, so bleibt auch die Arbeit der Bauwerksprüfer abwechslungsreich und spannend.